In der Toskana werden Märchen wahr

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29. Mai 2014

Eine Handvoll italienischer Helden haucht dem verschlafenen Dorf San Felice neues Leben ein und entdeckt dabei sogar längst vergessene Rebsorten.

Geschäftiges Treiben herrscht nur bei den Schwalben, die ihren Nachwuchs unter dem Kirchensims füttern. Ansonsten herrscht Ruhe im kleinen Dorf San Felice, mitten im Chianti Classico Gebiet, eine halbe Stunde entfernt von Siena. Selbst der kleine Spatz wartet geduldig auf der Terrasse, bis die süßen Cantucci mit Mandeln zum Kaffee serviert werden, die er sich dann frech vom Teller klaut, während die Gäste von den in der Sonne leuchtenden weißen Rosen abgelenkt sind. Er weiß, bereits nach der ersten halben Stunde haben die Zweibeiner in den Genussmodus umgeschaltet und saugen umgeben von alten Steinmauern, Weinbergen sowie Olivenhainen die typische toskanische Atmosphäre mit jeder Faser des Körpers auf. Schließlich sind sie im Urlaub. Aber nicht in irgendeinem Luxustempel, sondern im „albergo diffuso“, einem „verstreuten“ Hotel mit fünf Sternen. Schritt für Schritt wurde das ganze Dorf in ein Hotel umgewandelt. Obwohl jetzt ausgestattet mit jeglichem Komfort, blieb der historische Charme des Ortes erhalten. In der alten Werkstatt wird auf Sterneniveau gekocht, in der ehemaligen Schule und im Herrenhaus fürstlich residiert, in der Ölmühle entspannt, im Weinkellner Chianti verkostet und mittendrin lebt noch der eine oder andere Einheimische. Diese haben sich längst daran gewöhnt, dass Leute mit weißem Bademantel über die Piazza huschen oder durch die romantischen Gässchen zu ihrem Zimmer spazieren. Freilich war das nicht immer so.

Aufstieg und Fall: Edler Ritter mit Herz für Tradition
San Felice blickt auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurück. Das bezeugen schon die etruskischen Gräber aus dem sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt in der Nähe des Gutes. Bis zum Jahr 714 haben sich die Bischöfe von Arezzo und Siena um die Kapelle gestritten, die heute als die älteste Kirche der Region gilt und 998 zur Pfarrei wurde. Ab dem 19. Jahrhundert wurde San Felice berühmt für seinen Wein und das Olivenöl. Pro Jahr wurden 1400 Fässer hergestellt. Zu diesem Zeitpunkt gehörte San Felice dem Grafen Grisaldi del Taja, dessen Familie zu den Gründern des „Consorzio del Chianti Classico“ im Jahr 1924 zählt. Das Gebiet „Chianti Classico“ besiegelte durch den Zusammenschluss seine Identität und positionierte sich am Markt. Doch dann setzte die Landflucht ein und der zweite Weltkrieg brachte das Gut in Schwierigkeiten. Es wurde verkauft und verfiel in einen tiefen Dornröschenschlaf. Jahrzehnte später verliebte sich ein edler Ritter in Gestalt der Allianz Gruppe in das Kleinod und begann es zu restaurieren. Ganz sachte wurde es wachgeküsst, ohne die ländliche Schönheit zu zerstören. Bald war es über die Landesgrenzen hinaus bekannt und wurde bei der Hotelvereinigung „Relais & Chateaux“ aufgenommen. Heute verfügt das Hotel über 33 Zimmer und 20 Suiten, alle innerhalb des Dorfes zerstreut. „Wir respektieren die Umgebung, pflegen und erhalten die natürlichen Ressourcen“, sagt Achille di Carlo, der stolze Hotelmanager. Wein, Olivenöl, Kräuter und andere regionale Produkte stammen aus der eigenen Landwirtschaft.

Wein-Wiederentdeckungen: Der Vater des Pugnitello
Über 650 Hektar Land gehören zum Hotel. 140 Hektar davon sind Weinberge, 60 Hektar sind Olivenhaine mit 15.000 Olivenbäumen. Sie alle sind verteilt auf den sanften Hügeln mit ihrem ton- und kalkhaltigem Boden. Besonders gut gedeihen hier die Sangiovese-Trauben, aus denen der Chianti Classico Wein hergestellt wird. 70 Prozent der Weinberge sind mit diesen Trauben bepflanzt. Auf dem Rest herrscht die Vielfalt. Denn seit Jahrzehnten wird in San Felice auch geforscht, um die toskanische Rebsortenvielfalt zu bewahren. So wurde gemeinsam mit der Universität Florenz ein experimenteller Weinberg namens „Vitarium“ angelegt, in dem über 278 Rebsorten versammelt sind. Eine davon hat sich als besonders starke Persönlichkeit ausgezeichnet: die Pugnitello-Traube. Daher wird dieser Wein seit 2013 auf zwölf Hektar angebaut, entweder sortenrein verarbeitet oder für den Chianti Classico verwendet. Fast wäre diese autochthone Rebsorte ausgestorben. Doch Önologe Leonardo Bellaccini verhalf ihr zurück auf die Weinkarte und rettete nicht nur ihr Leben, sondern auch ein Stückchen Kulturgut. Bellaccini wurde in Siena geboren und kam 1984 mit einem Diplom in Weinbau und Önologie nach San Felice. Er gilt als Vater des Pugnitello und ist für die gesamte Produktion verantwortlich. Pro Jahr werden in San Felice 1,2 Millionen Flaschen abgefüllt. Derzeit arbeitet der italienische Sunnyboy an der Weiterentwicklung des Pugnitello-Weines und engagiert sich als Ehrenmitglied in der „Academia della Cucina Italiana“. Seine Weinverkostungen finden standesgemäß in der „Sala Pugnitello“ statt, einem alten Gewölbe mit Holztisch inmitten unzähliger Weinfässer. Am Abend werden Chianti Classico, Il Grigio, Vigorello oder Pugnitello in den beiden Restaurants serviert, die die Handschrift von Sternekoch Francesco Bracali tragen.

Küchen-Passion: Ein Koch greift nach den Sternen
Bracali stammt aus der Toskana und mischte als 14jähriger in der Trattoria seiner Eltern mit. Nur waren die von seinen neuen Ideen nicht so begeistert. „Heutzutage muss ein Koch alles überdenken, alles überarbeiten, neu zusammensetzen. Die Zutaten bleiben gleich, aber die Leute wollen leichter essen“, erzählt Bracali, während sein Strasssteinchen im Ohr glitzert. Als Autodiktat sammelte er Erfahrungen in Japan und New York, bevor er wieder in seine Heimat zurückkehrte und im eigenen Familienbetrieb „Ristorante Bracali“ zwei Michelin-Sterne erkochte. Montags und Dienstags ist er immer in San Felice. „Ich bin angekommen und zufrieden mit dem, was ich erreicht habe“, sagt Bracali. Trotzdem will er weitermachen und unbedingt noch einen Michelin-Stern für das Restaurant „Il Poggio Rosso“ holen. „So ein Stern ist mehr als eine persönliche Befriedigung. Diese Auszeichnung ist sehr wichtig und gehört dazu“, findet Bracali. Er kocht mit Leidenschaft und ist Verfechter des regionalen Geschmacks. Künstliches kommt bei ihm nicht auf den Teller. Der Großteil seiner Zutaten stammt entweder direkt aus San Felice oder der näheren Umgebung – die Kichererbsen aus Reggello, die Karotten aus Certaldo, der Safran aus San Gimignano. In dieser Hinsicht haben ihn seine Eltern doch geprägt. Wenn er sich um sein eigenes Restaurant kümmert, hat Alessandra Zacchei das Sagen in der San Felice Küche. Sie ist seit acht Jahren an Bord und wie Bracali eine starke Persönlichkeit. „Ich bin nicht der Typ, der sich unterbuttern lässt“, lacht Zacchei. Die Männer in der Küche müssen sich halt an die Chefin gewöhnen. Bracali ist stolz auf sie. Zwischen den beiden gibt es keine Geheimnisse und ein starkes Vertrauen. „Entweder machen wir etwas ganz oder gar nicht“, darin sind sie sich einig.

Trauben-Wellness: Ein Apotheker geht der Sache auf den Kern
„Jede Traube ist anders“, philosophiert Paolo Vranjes. Bereits mit zehn Jahren baute er sich sein eigenes Labor und beschäftigte sich mit Kosmetik. Heute entwickelt der Apotheker und Chemiker Spa-Anwendungen für Hotels und vertreibt eine eigene Kosmetiklinie. „Seit 1983 versuche ich die Düfte und Aromen der Toskana einzufangen“, sagt Vranjes. In San Felice sind es der Wein und das Olivenöl. Diese beiden Zutaten bilden die Grundlage für die verschiedensten Angebote im 350 Quadratmeter großen Spa, das optisch zwar einem Weinkeller ähnelt, aber mit Sauna, Dampfbad, Salzgrotte und Sandliegen weitaus gemütlicher ist. In einem Großteil der Anwendungen werden Lotion und Toner mit Resveratrol eingesetzt, einem natürlichen Antioxidativ, dass in den Trauben und im Wein vorkommt. Der Körper wird mit Extrakten von grünen Oliven eingewickelt, die Haut mit roten Trauben gepeelt und der Balsamico kommt im türkischen Bad zum Einsatz. Vranjes ist sich sicher, die Natur verbirgt noch so manches Geheimnis vor den Menschen – so könne aus einem Traubenkern viel herausgeholt werden. Deshalb forscht er weiter in seinem Labor, während die Pizza in San Felice in malerisches Abendrot getaucht wird, der Uhu „Gute Nacht“ ruft und die Zypressen Spalier für die schöne Träume stehen.


Anreise: Per Flugzeug (www.airdolomiti.de) oder Bahn nach Florenz. Von dort ist das Borgo San Felice in gut einer Stunde Fahrzeit mit dem Auto zu erreichen. Siena ist eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt, Rom zweieinhalb Stunden.

Erlebnistipps: Kultur- oder Shoppingtrip nach Siena oder Florenz; mit dem Auto entlang der „Strade del gallo nero“, der Straße durch das Chianti Classico-Gebietes; Besuch des Weingutes Castello di Ama mit spannenden Kunstwerken; Wanderungen per pedes und mit dem Rad durch die Weinberge.

Übernachten: Großzügige, helle, luxuriöse Zimmer und Suiten mit Pool im 5-Stern Relais & Chateaux. Ebenfalls zu San Felice gehört die Villa Casanova mit drei Ferienappartements und eigenem Pool. Eine attraktive Alternative für Familien. Borgo San Felice, 53019 Castelnuovo Berardenga, Toskana, www.borgosanfelice.com

Essen und Trinken: Restaurant „Il Poggio Rosso“, benannt nach einem der bekanntesten Weine, die in der Agricola San Felice, produziert werden. Hier kocht Francesco Bracali auf Sternen- bzw. Haubenniveau. Perfektes Service und musikalische Begleitung am Piano! Wer es lieber legerer mag kehrt in der neu eröffneten Trattoria „La Terrazza di San Felice“ ein und genießt die traditionelle toskanische Küche. Alles über die Weinkellerei und die Weine von San Felice Agricola gibt es auf der Webseite: www.agricolasanfelice.it

 

Ein Beitrag von Reisejournalistin und Bloggerin Anita Arneitz